
Zeitungsleser, den 21.Mai 2012. Foto von Flickr/Frank Knaack
Wir glauben alle zu wissen, was „Fake News“ ist. Doch jeder ist in seiner Wahrnehmung höchst wahrscheinlich dadurch geprägt, ob man Donald Trump unterstützt oder verabscheut, ob man für oder gegen Brexit gestimmt hat, und mit wem man auf Facebook befreundet ist. Innerhalb von weniger als 18 Monaten wurde der Begriff so oft und so beliebig gebraucht, dass er jeglicher Bedeutung beraubt wurde:
„Wow, so viele Fake-News-Geschichten heute. Egal, was ich tue oder sage, sie werden die Wahrheit nicht schreiben oder sagen. Die Fake-News-Medien sind außer Kontrolle!“
--Donald J. Trump (@realDonaldtrump) am 4.Oktober 2017. https://twitter.com/realDonaldTrump/status/915539424406114304?ref_src=twsrc%5Etfw
Die Nachricht ist - es gibt keine Nachrichten. Mit freundlicher Unterstützung von HSBC
Doch schon 2015, bevor „Fake News“ ihren großen Durchbruch erlebten, landete OpenDemocracy einen wahren Scoop. Der brisante Rücktritt von Peter Oborne aus der Redaktion von Daily Telegraph, nachdem er der Zeitung unterstellte, sie behindere die Recherchen über die HSBC, einen ihrer großen Anzeigekunden, machte weltweit Schlagzeilen. https://opendemocracy.net/ourkingdom/peter-oborne/why-i-have-resigned-from-telegraph
Oborne, einer der bekanntesten konservativen politischen Kommentatoren in Großbritannien, brachte außerdem die Tatsache ans Licht, dass auch andere große Anzeigenkunden der „Telegraph“ diesen redaktionellen „Schutz“ genossen hatten, darunter der Supermarkt-Gigant „Tesco“. Jay Rosen von der New York University (NYU) bezeichnete Oborne‘s Enthüllung als „mit das Wichtigste, was ein Journalist über den Journalismus in der letzten Zeit geschrieben hat“. Es bewegte mehrere Journalisten aus anderen Redaktionen dazu, uns mit ähnlichen Geschichten von redaktionellen Interventionen - „Optimierungen“ - zu kontaktieren. Mehr darüber später.
Was passierte danach? Bei „Telegraph“ hatte die Geschichte, trotz öffentlicher Dementi, intern ein Nachspiel. Interne Quellen haben bestätigt, dass nach dem Skandal einige leitende Mitarbeiter weniger bereit waren, die für Werbekunden unbequemen Stories zu stoppen. Die Zeitung bekannte sich öffentlich zu neuen Richtlinien für Angestellte mit dem Ziel, die redaktionelle Unabhängigkeit von der Werbung zu bekräftigen.
„Buzzfeed“ kam unter Beschuss und wurde gezwungen, seine redaktionelle Politik abzuklären, als es beschuldigt wurde, zwei Artikel gelöscht zu haben, die den Interessen seiner Werbekunden zuwiderliefen. Weitere Journalisten erhoben neue Missbrauchsvorwürfe und ermutigten andere Kollegen dazu, „Telegraphs“ Verflechtungen mit einer ganzen Reihe führender Anzeigenkunden zu untersuchen. Währenddessen hat „Guardian“ aufgedeckt, dass die HSBC offensichtlich versuchte, einen ähnlichen Druck auszuüben, um eine für die Bank potentiell sehr gefährliche Recherche zu stoppen.
Damit war, das wissen wir auch, die Wirkung des Skandals verbraucht. Und die Dinge nahmen recht bald wieder ihren gewohnten Lauf.
Unser kleines, schmutziges Geheimnis
Das Problem der Beeinflussung der Medien durch Interessensgruppen, die mitentscheiden, was und wie berichtet wird, ist uralt. Lange Zeit war es ein kleines hässliches Geheimnis des Journalismus. Aber durch den Kollaps des klassischen Geschäftsmodells im Medienbetrieb nahm der Druck, sich den Interessen der Werbekunden und der Eigentümer zu fügen, in den letzten Jahren dramatisch zu.
Dieses schädliche Kräfteverhältnis kann den investigativen Journalismus bei seiner Auseinandersetzung mit den Banken, Pharmariesen, Giganten der fossilen Energie, Agrarwirtschaft und vielen anderen ernsthaft behindern.
Bei alledem sind nur wenige Journalisten tatsächlich bereit, öffentlich darüber zu sprechen, was sich hinter den Kulissen abspielt. Für viele sind die möglichen Konsequenzen viel zu bedrohlich.
Und dann kommt das Ganze noch mal auf die sanfte Tour: Es gibt immer mehr Inhalte - „Native Advertising“ oder „Werbung im bekannten Umfeld“, die sehr schwer von den redaktionellen Inhalten zu unterscheiden sind. Viele Branchen, darunter Pharmaindustrie, Energie, Kosmetik und Lebensmittel, machen von diesen Marketingtechnologien Gebrauch. Hier, zum Beispiel, vollkommen unverfrorene, keineswegs markierte Advertorials für Nestle, die die Mütter auffordern, ihre Produkte nach dem Kaiserschnitt zu benutzen. Selbst wenn wir annehmen, dass eine Publikation dazu da sein könnte, für Produkte oder Dienstleistungen zu werben, ist es nicht immer einfach zu beweisen.
Ebenso wenig ist es üblich für Journalisten, offen zu legen, wer ihre Pressetouren bezahlt. Viele Korrespondenten sitzen auf zwei Stühlen, indem sie sowohl gesponserte Inhalte als auch die reguläre Berichterstattung liefern und dadurch die Grenze zwischen Werbung/Promotion und Journalismus verwischen.
In der ganzen Welt leisten Vertreter der NGO und Aufsichtsorganen hervorragende Arbeit, indem sie die Gefahren ausleuchten, denen Journalisten ausgesetzt sind, und Gesetzgebung anfechten, die Pressefreiheit beschneidet. Wenn es jedoch um den Ausmaß und die Auswirkungen der wirtschaftlichen Abhängigkeiten der Medien geht, fehlt der gleiche beständige, gemeinsame Vorgehen - trotz gravierender Folgen für die Pressefreiheit.
Wir stellen openMedia vor
Darum haben wir openMedia ins Leben gerufen: Ein investigatives Projekt über die Einmischung von wirtschaftlichen Interessengruppen in die redaktionellen Entscheidungen in 47 Ländern Europas. Mit der Zeit möchten wir es über den europäischen Kontinent hinaus erweitern. Wir fingen an, an diesem Projekt zu arbeiten, lange vor Brexit, Trump und der Fake-News-Manie der letzten 18 Monate. Die neuesten Entwicklungen machten unser Anliegen nur noch dringender.
Die openMedia Projektmannschaft: James Cusick, Crina Boros und ich, sowie unsere Partner: Index on Censorship, King’s College London, Europäische Journalisten Föderation - verpflichten sich dem Ziel, der Befangenheit und Zensur in den Medien auf die Spur zu kommen. Wir werden Machtmissbrauch aufzeigen, der in den Medien unterbeleuchtet bleibt, und Fälle ans Licht bringen, wo die Grenzlinie zwischen dem bezahlten oder gesponserten Inhalt und den Nachrichten und Journalismus verwischt werden.
Es geht nicht darum, schlechten Journalismus oder Redaktionen, die von ihren wirtschaftlichen Interessen oder blanken Überlebensinstinkten „kompromittiert“ sind, zu entlarven. Wenn man Journalisten fragt, auf welche Reportagen sie am meisten stolz sind, dann werden es Geschichten sein, die eine Wendung zum Besseren herbeigeführt haben. Wir möchten für viele Journalisten, die wissen, welche Berichte dem Interesse der Öffentlichkeit dienen, Inspiration und Antrieb schaffen und sie darin bestärken, frei und wahrheitsgemäß zu berichten. Und wir möchten Journalisten zur Aufdeckung des Missbrauchs ermutigen, die zu freieren, stärkeren Medien führt.
Aber das ist noch nicht alles. Unsere Partner am King’s College in London sind außerdem dabei, digitale Instrumente zu entwickeln, die den Lesern dabei helfen sollen, fundiertere Entscheidungen zu treffen und mit ihren Informationsquellen bewusster umzugehen. Sie sollen außerdem Journalisten darin bestärken, für Transparenz in ihren Verlagshäusern zu werben. Unsere Erkenntnisse werden wir in unserer Kampagne für mehr Transparenz in den Medien und mehr Pressefreiheit nutzen.
Dafür brauchen wir Hilfe von so vielen Journalisten wie möglich. openMedia führt eine vertrauliche und anonyme. Umfrage unter den Journalisten in ganz Europa zu den gängigen Praktiken und zu ihren eigenen Erfahrungen mit dem wirtschaftlichen Druck auf Redaktionen.
Soweit lässt die Umfrage erkennen, dass Pharmaindustrie, Baufirmen, IT-Unternehmen und Energieriesen einen starken Einfluss darauf ausüben, welche Nachrichten über ihre Tätigkeit erscheinen oder gestoppt werden. Einige Befragte berichten von Selbstzensur oder aber über direkte Anweisungen, einen bestimmten wichtigen Anzeigekunden nicht zu tangieren. In vielen Ländern haben Reporter darauf hingewiesen, dass politische oder wirtschaftliche Interessen - oft sind diese verflochten - einen Einfluss darauf haben, was nicht veröffentlicht wird.
Wir machen unser Projekt öffentlich mit der Bitte an Journalisten, möglichst zahlreich an unserer Umfrage teilzunehmen und ihr Wissen mit uns zu teilen - wenn sie möchten, anonym. Nur mit Fakten darüber, was und wo genau vor sich geht, können wir Missstände in unserer Industrie aufdecken und zu mehr Pressefreiheit und mehr Unabhängigkeit von den finanziellen Interessen aufrufen.
Das Wichtigste: Was auch immer Sie uns zu sagen haben, Ihre Identität und Ihre Angaben werden von uns streng geschützt. Schon jetzt sprechen Journalisten aus ganz Europa mit uns, weil sie uns vertrauen – und weil sie wissen, dass wir niemals etwas tun würden, was ihre Jobs oder ihre Sicherheit gefährden könnte. Ein Beispiel dafür: Unsere Partner am King’s College in London können ihre Medienmonitoring-Software zur Faktenprüfung und Bestätigung Ihrer Berichte einsetzen, so dass diese Informationsübergabe vollkommen vertraulich bleibt.
Weitere Informationen unten – oder Sie können Informationen und Dokumente hier mit uns teilen.
Bitte geben Sie diese Information weiter, insbesondere an Journalisten. Danke!
Wie frei ist unsere Presse?
Arbeiten Sie als Journalist? Würden Sie gerne mehr Schutz und mehr Freiheit für die Presse erleben?
Wenn ja, bitte nehmen Sie an unserer Umfrage teil (wenn erwünscht, anonym). Wir machen eine Untersuchung in 47 europäischen Ländern, um zu messen, wie finanzieller Druck die Medien prägt. Alle Angaben werden streng vertraulich behandelt.
Die Umfrage ist hier
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